Danksagung Blog und Twitter Dokumentarfilm „Germanomics“

Seit mehr als hundert Jahren hält die kreative Zerstörung unsere Wirtschaft in Bewegung. Neue Unternehmen drängen in die Märkte, frische Technologien verdrängen Altbewährtes und zerstören etablierte Strukturen. Lange war das ein Garant für Fortschritt und Wohlstand. Doch diese Dynamik ist in Deutschland schon seit Jahren äußerst verhalten. Die Gründungsraten gingen stetig zurück und mit ihnen sank auch das Produktivitätswachstum. Wenn zeitgleich die Marktmacht einzelner Digitalkonzerne steigt und sich digitale Technologien nicht schnell genug verbreiten, kann das für den Technologiestandort Deutschland gefährlich werden.

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Herausforderungen

Die deutsche Volkswirtschaft steht vor einem doppelten Wandel. Erstens muss sie digitaler werden. Das hat nicht erst die Corona-Pandemie gezeigt. Schon lange treiben die internationalen Wettbewerber die deutsche Wirtschaft vor sich her. Die zweite Transformation: Die Wirtschaft muss nachhaltiger werden. Anders wird sich der Klimawandel nicht aufhalten lassen.

Dafür muss die deutsche Wirtschaft mit alten Mustern brechen. Sie braucht mehr kreative Zerstörung - neue Ideen, Lösungen und Technologien. Unternehmen mit kreativen Geschäftsmodellen können neue Märkte schaffen und Klimaschutz und Ressourceneffizienz zum lohnenden Geschäft machen. Damit würden sie etablierte Unternehmen antreiben und für Wandel ebenso wie für Fortschritt sorgen. Die Gründung neuer Unternehmen bietet somit großes Potenzial. Dies gilt für alle Branchen – für Startups in wissensintensiven Bereichen ebenso wie für junge Unternehmen in Branchen, die nicht zu den technologischen Vorreitern gehören. Deutschland muss dieses Potenzial heben, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.

Die Finanzierung ist besonders für technologienahe Startups oft ein Problem. Die meisten Gründer:innen machen insbesondere in frühen Phasen nicht genug Umsatz, um ihr Unternehmen zu tragen. Geld von außen zu bekommen, ist aufgrund des Risikos ebenfalls schwierig. Wagniskapital wird in Deutschland immer noch viel zu zögerlich vergeben. Diese Anschubinvestitionen machten im Jahr 2018 in den USA 0,55 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) aus. In Deutschland waren es gerade einmal 0,04 Prozent. Besonders eklatant ist der Rückstand in späteren Gründungsphasen. Gemessen am BIP ist der Wagniskapitalmarkt in späteren Finanzierungsrunden in den USA fast 30-mal größer als in Deutschland

Was ebenfalls viele von der Gründung abhält: Gut ausgebildete Mitarbeiter:innen sind schwer zu finden. Etablierte Unternehmen sind eher in der Lage, attraktivere Beschäftigungsmodelle und ein hohes Gehalt zu bieten.

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Daten und Fakten

Eine Studie, die das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) für uns erarbeitet hat, zeigt, dass die nachlassende Unternehmensdynamik in Deutschland schwer auf der Innovations- und Produktivitätsentwicklung lastet, fallende Eintritts- und Austrittsraten (Abbildung 1) gingen jahrelang mit einem rückläufigen Trendwachstum der Arbeitsproduktivität einher.

Einen Hoffnungsschimmer gibt es ganz aktuell: Nach dem jahrelangen Abwärtstrend wurden 2020 nach Angaben des KfW-Gründungsmonitors erstmals wieder mehr Gründungen in Deutschland verzeichnet. Maßgeblichen Anteil daran haben Gründungen im Nebenerwerb, Vollerwerbsgründungen liegen weiterhin auf einem historisch niedrigen Niveau. Eine allgemeine Trendwende ist das noch nicht.

Deutlich zugelegt hingegen haben Startups, also innovative Unternehmensgründungen mit hohem Wachstumspotenzial. Ihre Zahl 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 13 Prozent gestiegen. Diese Startups scheinen wie geschaffen zur kreativen Zerstörung. Die Hoffnung ist berechtigt: 43 Prozent dieser neuen Unternehmen setzen auf digitale Innovationen und Nachhaltigkeit, wie der Deutsche Startup-Monitor 2020 zeigt. Deutlich zugelegt haben nach Angaben des KfW-Gründungsmonitors auch internetbasierte und digitale Gründungen. Ihr Anteil stieg im letzten Jahr von 19 und 21 Prozent auf jeweils 28 Prozent.

Besonders digitale Gesundheitsdienste haben viele Gründer:innen in der Krise als Chance entdeckt. Hier hinkte Deutschland laut unserem Digital Health Index bislang hinterher. Doch neue regulatorische Rahmenbedingungen geben Gründer:innen Rückenwind. Einer Befragung von PWC zufolge sehen 82 Prozent der befragen Digital-Health-Startups die Corona-Krise als Chance für ihr Geschäftsmodell.

Dennoch ist noch ein weiter Weg zurückzulegen. Denn auch, wenn die Wachstumszahlen der Jahre 2020/21 Hoffnung aufkeimen lassen: Deutschland startet von niedrigem Niveau aus. Nach Jahren nachlassender Unternehmensdynamik und abnehmender Gründungszahlen bildet Deutschland auch heute noch das Schlusslicht auf den Feldern des Unternehmertums im Vergleich zu anderen entwickelten Industrienationen. Das liegt auch daran, dass Potenziale verschiedener Bevölkerungsgruppen in Deutschland nicht gesehen und gehoben werden: Frauen, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte – sogar Geflüchtete – und ältere Wissens- und Erfahrungsträger:innen könnten sich bei besseren strukturellen Bedingungen und einer besser ausgebauten Beratungsinfrastruktur stärker am Gründungsgeschehen beteiligen.

Und wir dürfen nicht vergessen: Es geht nicht nur um wissensintensive und technologienahe Startups. Sie sind wichtig für die Transformation der Wirtschaft – ja. Aber sie werden auch in Zukunft nicht die Mehrheit der Unternehmen stellen. Die Untersuchung des ZEW für uns zeigt, dass die deutsche Wirtschaft profitieren würde, wenn es gerade im Low-Tech-Bereich wieder höhere Markteintritts- und Austrittsraten gäbe. Hier vollzieht sich der Strukturwandel in der Unternehmenslandschaft eher durch Adaption, Wissens- und Technologietransfer als durch einen Verdrängungs- und Ersetzungswettbewerb oder durch hohe Forschungs- und Entwicklungsausgaben wie im Hightech-Bereich. Und deswegen erhielte die Produktivität in der gesamten Wirtschaft einen klaren Schub, wenn gerade im Low-Tech-Bereichen wieder mehr Unternehmensdynamik entstände.

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Politischer Handlungsbedarf

Die Politik sollte Hürden für Gründer:innen beseitigen. Bei der Finanzierung gibt es erste Fortschritte. In den zurückliegenden Legislaturperioden wurden Förderprogramme wie der „High-Tech Gründerfonds“ aufgelegt, um den Zugang zum externen Kapitalmarkt zu erleichtern. 2020 vergab die alte Bundesregierung mit dem Zukunftsfonds von zehn Milliarden Euro das bisher größte Finanzpaket für die Startup-Branche. Diese Investitionen sollen besonders “kreativen Zerstörer:innen” zugutekommen. Die Politik hofft, dass die öffentlichen Ausgaben auch private Geldgeber motivieren.

Besonders in der Wachstumsphase fällt es Startups schwer, qualifizierte Mitarbeiter:innen zu gewinnen. In frühen Entwicklungsphasen können sie selten mit den Gehältern der etablierten Unternehmen mitgehen. Diesen Nachteil versuchen sie wettzumachen, indem sie den Mitarbeitenden Beteiligungen am Unternehmen in Aussicht stellen. Über ein Viertel der befragten Unternehmen aus dem Startup-Monitor 2020 fordern, dass bürokratische Hürden und Steuernachteile gegenüber anderen Gehaltsmodellen abgeschafft werden. Wichtig wäre, dass Vermögensbeteiligungen am Unternehmen erst bei Veräußerung oder einem Arbeitgeberwechsel besteuert werden.

Darüber hinaus braucht es für einen echten Aufbruch aber vor allem eine „inklusive“ Strategie zum Thema Unternehmer:innen. Es sollten die richtigen Rahmenbedingungen und Anreize für Gründungen in der Breite geschaffen werden und nicht nur im Hightech-Bereich. Das reicht vom Senken der Markteintrittsbarrieren durch Bürokratieabbau über eine stärkere Förderung von Lowtech-Unternehmensgründungen bis hin zu gezielter Unterstützung bisher wenig gründungsfreudiger Bevölkerungsgruppen. Hier spielt eine sichtbare, zugängliche und fachlich qualifizierte Beratungsinfrastruktur eine zentrale Rolle.

Da sich der Wettbewerb gerade im Lowtech-Bereich eher durch Adaption als durch Verdrängung auszeichnet, und größere Produktivitätsschübe erst mit einer gewissen Verbreitung grundlegender technologischer Neuerungen zu erwarten sind, sollten zudem die Wettbewerbsregeln fair gestaltet (siehe Handlungsfeld “ Neue Spielregeln”) und eine Wissens- und Technologiediffusion forciert werden (siehe Handlungsfeld “ Land der Leuchttürme”).

Zum Weiterlesen

[1] Expertenkommission Forschung und Innovation, Jahresgutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands, 2021, Berlin.
[2] Bersch, J., M. Berger und L. Füner, Unternehmensdynamik in der Wissenswirtschaft in Deutschland 2019. Gründungen und Schließungen von Unternehmen, Gründungsdynamik in den Bundesländern, Internationaler Vergleich, Wagniskapital-Investitionen in Deutschland und im internationalen Vergleich.
[3] Studien zum deutschen Innovationssystem. Nr. 3-2021. Berlin: EFI.
[4] Bertelsmann Stiftung (2021), Innovative Start-ups in der Initialphase fördern, Innovation for Transformation – Wie die Verbindung von Innovationsförderung und gesellschaftlicher Problemlösung gelingen kann Ergebnispapier 4, Gütersloh.