Danksagung Blog und Twitter Dokumentarfilm „Germanomics“

Was macht den Erfolg einer modernen Volkswirtschaft aus? Es sind nicht alleine moderne Fabriken oder Maschinen oder eine gute Infrastruktur. Entscheidend sind die Köpfe der Menschen. Ihr Wissen, ihre Fähigkeiten gewinnen immer mehr an Gewicht. Dies hat Folgen für den Staat und für jedes Unternehmen. Der Staat muss massiv in ein qualitativ hochwertiges Bildungssystem auf allen Ebenen investieren. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen aber auch die Unternehmen deutlich mehr in ihr Wissenskapital investieren. Was bisher getan wird, reicht nicht aus – schon gar nicht in einer Wirtschaft, die sich immer dynamischer entwickelt.

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Herausforderungen

Die Digitalisierung macht das Innovationsgeschehen komplexer und Innovationszyklen kürzer. Große Teile der deutschen Wirtschaft können bei diesem Tempo nicht mithalten. Eine Ausnahmesituation wie die Corona-Pandemie zeigt zudem, wie gefährlich dies werden kann: Wer keine digitalen Lösungen parat hat, gerät schnell unter Druck. Oder andersherum: Wer digitalisiert, kommt besser durch die Krise. Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen oder zumindest Vertriebskanälen konnten währen der Pandemie besonders profitieren, auch weil sie mit ihren wissensbasierten Dienstleistungen Menschen halfen, mit der neuen Situation umzugehen. Die großen US-amerikanischen Tech-Konzerne vermeldeten Rekordzahlen, während große Teile der „analogen” Wirtschaft zurück blieben.

Die Corona-Pandemie war dabei nur Beschleuniger einer Entwicklung, die schon länger beobachtbar ist: Die digitale Ökonomie ist volatiler und schnelllebiger als alles, was wir vorher kannten. Technische Neuerungen kommen immer schneller und sie werden komplexer. Geschäftsfelder können sich von einem auf den anderen Tag verändern. Unternehmen müssen sich darauf einstellen. Und nicht nur die Digitalisierung, sondern auch der Übergang zu nachhaltigeren Formen des Wirtschaftens, der auf vielen Feldern zeitgleich stattfindet, erhöht die Anforderungen an alle Branchen und alle Arten von Unternehmen, mindestens anpassungsfähig, besser noch proaktiv und innovationsfähig zu sein. Dies kann aber nicht gelingen ohne Beschäftigte mit den entsprechenden Kompetenzen und dem entsprechenden Wissen.

Unsere Untersuchungen machen klar: Das Wissenskapital zählt heute zu den wichtigsten Faktoren für den Unternehmenserfolg. Denn von ihm hängt es ab, ob die doppelte Transformation gelingt. Und die Investition ins Wissen der Mitarbeiter:innen und angepasste Organisationsstrukturen machen ein Unternehmen nicht nur produktiver. Auch die Investitionen in neue Technologien werden dadurch effektiver. Umso wichtiger, dass Deutschland seinen internationalen Rückstand in puncto Wissenskapital schleunigst aufholt. Tut es dies nicht, verschärft sich die doppelte Produktivitätskrise: Innovationskraft nimmt insgesamt ab und konzentriert sich weiter auf große Unternehmen.

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Daten und Fakten

Unternehmen müssen heute nicht mehr nur in Maschinen investieren, sondern auch in Forschung und Entwicklung, Software, Datenbanken und in die Kompetenzen ihrer Mitarbeiter:innen, die neuen Prozesse zu steuern, und selbst innovativ sein zu können. Die Unternehmen investieren in sogenanntes Wissenskapital. Was ist Wissenskapital? Es ist ein relativ neues Konzept, mit dem vor allem immaterielle Vermögensgegenstände der Unternehmen erfasst werden, die jedoch genauso wie Sachkapital einen langfristigen Wert darstellen. Software, Lizenzen, Ausgaben für Forschung und Entwicklung aber auch der Grad von Fachkenntnissen und der Ausbildungsstand der Belegschaft gehören zu diesem „nicht anfassbaren“ Kapital.

Seit 2007 hat sich der Einsatz von Wissenskapital in den USA, Frankreich, Deutschland und in anderen EU-Staaten um mehr als 20 Prozent erhöht. Zentraler Treiber ist die Digitalisierung. Die deutsche Wirtschaft investiert heute mehr in Wissenskapital als in klassische Anlagegüter.

Doch im internationalen Vergleich ist das immer noch zu wenig, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) in einer Studie für uns gezeigt hat. Hierzu wurde erstmalig der Einsatz des Wissenskapitals in Deutschland erhoben und mit vergleichbaren Volkswirtschaften (Frankreich, Großbritannien, USA und der zusammengefassten Ländergruppe Finnland, Niederlande, Österreich) verglichen.

Betrachtet man den Einsatz des gesamten Wissenskapitals in der Wirtschaft, so lag Deutschland im Jahr 2017 ca. 15 Prozent hinter dem Spitzenreiter Frankreich zurück. Deutlich zurück liegt Deutschland vor allem bei den Dienstleistungen. Hier bilden die deutschen Unternehmen zusammen mit den britischen sogar das Schlusslicht. Auch die deutsche Industrie investiert gerade einmal durchschnittlich in Wissenskapital, hier liegen Frankreich und die USA vorne (Abbildung 1).

Betrachtet man nur die Teile des Wissenskapitals, die nicht von der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erfasst werden, verdüstert sich das Bild sogar noch. Gerade bei diesen Bestandteilen, dem Organisationskapital, den Führungskompetenzen, der Aus- und Weiterbildung liegt Deutschland abgeschlagen auf dem letzten Platz, etwa 20 Prozent unter dem Durchschnitt.

Der Rückstand ist besonders dramatisch, weil gerade dieses Wissen über die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen entscheidet. Bereits heute kommen aus den Entwicklungsabteilungen der deutschen Wirtschaft weniger technische Neuerungen, als es eigentlich möglich wäre, weil die nötigen Fachkräfte fehlen. Fast die Hälfte aller Unternehmen, die zur Forschung und Entwicklung in Deutschland beitragen, melden Personalengpässe.

Entsprechend groß ist der Wettstreit um die besten Köpfe. Und hier schneiden besonders kleine und mittlere Unternehmen (KMU) schlecht ab. Die dringend gesuchten IT-Spezialist:innen zieht es eher zu Großunternehmen, die mehr zahlen und bessere Berufsaussichten bieten können. Durch den Digitalisierungsschub in der Corona-Pandemie dürfte die Nachfrage nach diesen Expert:innen weiter steigen.

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Politischer Handlungsbedarf

Was die Unternehmen versäumt haben, ist klar: Offenbar verwöhnt vom jahrzehntelangen Erfolg ihrer Geschäftsmodelle haben sie nicht genug in ihr Wissenskapital, vor allem aber die Aus- und Weiterbildung der eigenen Belegschaften investiert und kämpfen nun mit den Folgen. Gerade KMU müssen hier künftig mehr tun, um nicht vollends abgehängt zu werden.

Aber auch die Politik ist gefordert. Die Studien zeigen, dass schon heute die Investitionen in Wissenskapital in keiner Weise dem postulierten Anspruch Deutschlands, zu den technologisch führenden Volkswirtschaften zu gehören, entsprechen. Anstehende Veränderungsprozesse sind auf diese Weise noch viel schwerer zu erreichen. Die Rahmenbedingungen für Investitionen in alle Arten von Wissenskapital müssen umfassend verbessert werden. Nur so können Innovationskraft, Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gesichert werden.

Solch ein umfassendes Konzept muss zunächst die Abschreibe- und Förderbedingungen für Investitionen in Forschung und Entwicklung in den Blick nehmen. Hier hat die letzte Bundesregierung schon Veränderungen vorgenommen. Anfang 2020 wurde die so genannte Forschungszulage eingeführt. Vor allem KMU sollen hierdurch in ihren Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten unterstützt werden. So können z.B. Personalkosten steuerlich geltend gemacht werden. Doch der alleinige Fokus auf Forschung und Entwicklung greift zu kurz, denn Forschung und Entwicklung ist nur ein Bestandteil des Wissenskapitals. Gerade bei den anderen Bestandteilen liegen deutsche Unternehmen wie beschrieben deutlich zurück. Bezieht man diese Bestandteile des Wissenskapitals mit ein, müssen die Unternehmen nach Berechnungen des DIW Berlin jährlich etwa 35 Milliarden Euro mehr in ihr gesamtes Wissenskapital investieren, um das 3,5-Prozent-Ziel zu erreichen. Bei der notwendigen Evaluation der seit 2020 geltenden Regelungen zur steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung ist dies mit zu bedenken.

Erschreckend ist, dass allein schon das Wissen über die Fördermöglichkeiten zwischen großen Unternehmen und KMU extrem voneinander abweicht, wie der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft jüngst bemängelte: Während 80 Prozent der Großunternehmen sich gut über die staatlichen Fördermöglichkeiten informiert fühlen, sind nur 32 (!) Prozent der Unternehmen mit weniger als 20 Beschäftigten über die Möglichkeiten informiert. Auch dies ein Aspekt des Kapitals Wissen: Förderung kann nur greifen, wenn alle von ihr wissen!

Ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt sind die Menschen: So wird die berufliche Weiterbildung zu stiefmütterlich behandelt. Es reicht nicht aus, sie im Wesentlichen den Unternehmen zu überlassen. Denn hier steht nicht weniger als die Zukunftsfähigkeit der gesamten Volkswirtschaft auf dem Spiel. Die Anforderungen verändern sich so schnell und so tiefgreifend, dass die Beschäftigten nur mithalten können, wenn sie ein Berufsleben lang weiterlernen. Wenn Betriebe Geld für Weiterbildung ausgeben, kann die Politik ihnen mit attraktiveren Abschreibungsmöglichkeiten unter die Arme greifen. Aber auch Modelle für bessere Kooperationen zwischen KMU, den Anbietern von Weiterbildungen und akademischen Forschungs- und Lehrreicheinrichtungen wie den Fachhochschulen auf dem Gebiet des lebenslangen Lernens sind zu fördern.

Darüber hinaus muss der Staat massiv in ein qualitativ hochwertiges Bildungssystem auf allen Ebenen investieren. Die Evidenz ist vielfältig: eine wettbewerbsfähige Volkswirtschaft und eine inklusive Gesellschaft können auf Dauer nur auf der Grundlage eines hochwertigen und allen Bevölkerungsteilen offenstehenden Bildungssystems bestehen. Nur so kann unser Wissenskapital wachsen.

Zum Weiterlesen

[1] Belitz, H. und M. Gornig, Deutsche Wirtschaft muss mehr in ihr Wissenskapital investieren, DIW Wochenbericht, 31, 2019.
[2] Belitz, H., M. Le Mouel und A. Schiersch, Produktivität der Unternehmen steigt mit mehr wissensbasiertem Kapital, DIW Wochenbericht, 4. 2018.