#08: Produktivität weiterdenken
Viele Staaten setzen bei der Steigerung der Produktivität einen zu einseitigen Schwerpunkt: Sie wollen den Arbeitseinsatz effizienter machen, um das Wirtschaftswachstum zu steigern. Aber solch eine Wirtschaftspolitik greift zu kurz. Und wer Produktivität so eng fasst, stößt unweigerlich an Grenzen. Vor allem das Ziel einer nachhaltigen Wirtschaft im Rahmen der planetaren Grenzen ist allein mit mehr Arbeitsproduktivität nicht zu erreichen. Mehr Effizienz durch eine sparsamere Nutzung von Rohstoffen, Energie und Boden muss eine deutlich größere Rolle spielen als bisher. Wir brauchen deshalb einen grundlegenden Wandel in unserem Verständnis von Produktivität und Wohlstand.
Herausforderungen
Der europäische Green Deal will das Wirtschaftswachstum vom Ressourceneinsatz entkoppeln. Bis 2050 soll Europa klimaneutral werden. Das bedeutet: Die Wirtschaft muss Ressourcen deutlich effizienter einsetzen, der Verbrauch muss drastisch reduziert werden. Das Ziel ist also klar.
Die Konsequenzen, die hieraus folgen, haben sich aber noch nicht überall durchgesetzt. Zumindest nicht in den weiterhin dominierenden Wirtschafts- und Wachstumsmodellen in Wissenschaft und Politik. Dort wird die Produktivität zumeist als Schlüssel für mehr Output gesehen. Als Kernproblem für den materiellen Wohlstand industrialisierter Volkswirtschaften gilt weiterhin der mangelnde Produktivitätsfortschritt vor allem hinsichtlich der Nutzung von Arbeit. Wegen der Alterung der Gesellschaft solle insbesondere die Arbeitsproduktivität steigen, damit die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts mindestens stabil bleiben können. Allerdings wird der Ressourcenverbrauch in dieser Denkrichtung nicht hinreichend mitgedacht – im Gegenteil: weiterhin steigender Ressourcenverbrauch wird oft sogar stillschweigend in Kauf genommen.
Hier prallen also zwei Gegensätze aufeinander: Auf der einen Seite steht das tradierte Verständnis von Produktivität, das mit dem Fokus auf Arbeit und Kapital einer klaren Wachstumslogik folgt. Auf der anderen Seite ist es dringend geboten, den Einsatz von natürlichen Rohstoffen zu reduzieren, weniger Energie zu verbrauchen, Böden zu schonen und – noch – intakte Ökosysteme zu erhalten. Dabei spielen die Parameter der Ressourcennutzung und Ressourcenproduktivität Schlüsselrollen, die jedoch in den herkömmlichen Wachstumsmodellen und typischerweise verwendeten Produktionsfunktionen zur Wachstumszerlegung meistens keine Beachtung finden.
Der nötige Bewusstseinswandel vollzieht sich bisher nur schleppend und wird der akuten Bedeutung einer Steigerung der Ressourcenproduktivität nicht gerecht. Denn nur wenn sie künftig stärker zunimmt als die Arbeitsproduktivität, kann es gelingen, das Versprechen des Green Deal einzulösen: Eine Wirtschaft, die weniger verbraucht und trotzdem wächst.
Daten und Fakten
Das Umweltbundesamt weist darauf hin, dass „allein die deutschen Treibhausgas-Emissionen im Jahr 2019 Umweltkosten in Höhe von 156 Milliarden Euro verursacht“ haben. Die Kosten des Klimawandels hätte der “Stern Report” bereits 2006 auf jährlich bis zu 20 Prozent des globalen BIP geschätzt. Auch die Prognose des Umweltbundesamtes ist düster: “ Die Folgekosten durch den Klimawandel und den Verlust der biologischen Vielfalt könnten sich im Jahr 2050 auf rund ein Viertel des weltweiten Bruttosozialprodukts belaufen.” Sparsam mit Rohstoffen umzugehen, ist demnach gesamtgesellschaftlich deutlich günstiger als die wirtschaftlichen Vorteile eines unverminderten Ressourceneinsatzes.
Die Ressourcenproduktivität ist in Deutschland über die letzten Jahre zwar gestiegen (Abbildung 1), doch der Ressourcenverbrauch ist derweil kaum gesunken (Abbildung 2). Beide Parameter haben sich zudem im Vergleich mit dem EU-Durchschnitt schlechter entwickelt. Da der Rohstoffabbau, die Nutzung und Entsorgung in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Klimawandel und dem Verlust an Biodiversität stehen, müssten zur Erreichung einer wirklich nachhaltigen Wirtschaft deutliche Reduktionen erfolgen und stoffliche Kreisläufe etabliert werden.
Politischer Handlungsbedarf
Eine moderne Wirtschaftspolitik braucht ein differenzierteres Verständnis von Produktivität. Der produktive – also sparsame und nachhaltige – Umgang mit Ressourcen und Energie ist die Grundlage für die bevorstehende Transformation unserer Wirtschaft. Deshalb benötigt er mehr Beachtung.
Für die Politik bedeutet das ganz praktisch: den Ressourcen- und Energieverbrauch Deutschlands weiter senken, die Abhängigkeit von hohen Wachstumsraten des Bruttoinlandsproduktes reduzieren und dem Ziel einer Kreislaufwirtschaft näherkommen. Dazu könnte der Verbrauch von Ressourcen stärker besteuert und bestehende Subventionen gesenkt werden. Das würde die Nachfrage für klimaschädliche Wirtschaftsaktivitäten reduzieren und den Effizienzdruck auf Unternehmen erhöhen. Weitere Ansatzpunkte für einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen wären, den Lebenszyklus von Produkten zu verlängern, Endprodukte häufiger zu recyclen und unnötigen Materialverbrauch in allen Stadien zu verhindern. Auch für den Herstellungsprozess sollten Anreize für eine wertorientierte Instandhaltung von Produktionsanlagen ausgebaut werden. Die Digitalisierung bietet hier erhebliche Potenziale.
Was das Konzept von wirtschaftlicher Produktivität angeht, sollte grundsätzlich am gemeinsamen Verständnis und der Anwendung gearbeitet werden. Das fängt an bei der öffentlichen Debatte über Wohlstand und wie wir ihn vermehren: Welche Ziele wollen wir in Zukunft abseits der materiellen Ausstattung erreichen und wie gelingt es, die grundlegenden Voraussetzungen dafür auch für nachfolgende Generationen zu erhalten? Lehre und Forschung in den Wirtschaftswissenschaften sollte differenzierter mit Produktivitätskonzept werden, Zielkonflikte stärker beleuchten.
Schließlich geht es um die konkreten Politikstrategien: Welche Produktivität wollen wir und wie soll sie gesteigert werden? Das spielt zum Beispiel eine Rolle, wenn es darum geht, welche Forschungsvorhaben und Bemühungen für mehr Ressourceneffizienz steuerlich begünstigt werden. Indikatoren der Ressourcennutzung und -produktivität sowie der Kreislaufführung sollten mehr beachtet und Einsparziele deutlich ambitionierter werden. Messung und Monitoring müssen weiter verbessert werden, Fortschritte weltweit vergleichbar sein und überprüft werden.
Der Green Deal der EU-Kommission verlangt eine neue Wachstumsstrategie. Da darf auch die Produktivität nicht mehr dem etablierten Wirtschafts- und Wachstumsmodell folgen. Bestehende Produktivitätsstrategien sollten auf ihre Zielsetzung überprüft und nötigenfalls überarbeitet werden. Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft brauchen ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass der Einsatz von Ressourcen und die damit verbundenen Umweltbelastungen in einem tragfähigen Verhältnis zu den gewünschten Ergebnissen stehen müssen.