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Über diese Agenda

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Deutschland steht am Beginn einer neuen Legislaturperiode. Auch in der Wirtschaft stehen die Zeichen auf Wandel. Zwar gibt es aktuell gravierende Unsicherheiten: sprunghafte Verteuerung von Rohstoffen, globale Lieferengpässe, die immer mehr Güter betreffen, ein wackelnder (chinesischer) Immobilienmarkt, immer stärker spürbare negative Folgen des Brexit, um nur einige wenige zu nennen. Doch will und muss die deutsche Wirtschaft aus der Corona-Krise herauswachsen und sich grundlegend in Richtung mehr Nachhaltigkeit und Digitalisierung transformieren.

Ein solcher Neustart kann nur gelingen, wenn man sehr bewusst eine Herausforderung in den Blick nimmt, die langfristiger und struktureller Natur ist und die schon jetzt unser Wirtschaftssystem prägt. Wir nennen diese Herausforderung die „doppelte Produktivitätskrise“.

Die erste Dimension dieser Krise ist schnell erklärt: Die deutsche Wirtschaft wurde über die letzten Jahre insgesamt kaum produktiver. Das ist an sich schon ein Problem. Denn die gesellschaftliche Alterung wird unseren Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren grundsätzlich verändern. Mit immer weniger Menschen müssen wir dann den Wohlstand erarbeiten, den es braucht, um Renten und Pensionen zu zahlen, Sozialkassen und den Staat insgesamt leistungsfähig zu erhalten. Darüber hinaus entscheidet die Produktivitätsentwicklung aber auch maßgeblich über die internationale Wettbewerbsfähigkeit, die es gerade gegenüber schnell innovierenden Nationen wie China langfristig zu erhalten gilt. Und nicht zuletzt werden auch unsere Nachhaltigkeits- und Klimaziele ohne einen effizienteren Umgang mit natürlichen Ressourcen nicht einzulösen sein.

Nun kann man sich die Frage stellen, warum die Produktivität trotz allen technologischen, vor allem digitalen Fortschritts nicht stärker wächst. Hier hat die Forschung eine beunruhigende Antwort parat, die uns zur zweiten Produktivitätskrise führt: Anders als bei vielen der technologischen Entwicklungen der vergangenen 100 Jahre sind die Anforderungen der Digitalisierung für viele Unternehmen so voraussetzungsvoll und so hoch, dass sie den Anschluss an den Markt und die Konkurrenten verlieren. Sie investieren nicht oder kaum mehr, ziehen sich aus dem Innovationsgeschehen zurück und adaptieren auch zu wenig neue (digitale) Technologien in ihre Prozesse und Geschäftsmodelle. Hier kann Produktivität nicht mehr wachsen.

Diese Unternehmen sind vorwiegend kleine und mittlere Unternehmen und befinden sich oft abseits dynamischer Ballungsräume. Ohne Gegensteuern kann es zu einem noch nie dagewesenen Strukturwandel kommen, der die Existenz des deutschen Mittelstandes in seiner derzeitigen flächendeckenden Ausprägung bedroht. Dies hätte unabsehbare Folgen für soziale Teilhabe und Wohlstand in vielen Regionen Deutschlands.

Was der Wirtschaftsstandort Deutschland braucht, ist ein wirklicher Neustart. Ein Neustart, der ihn nach der Pandemie insgesamt innovativer und produktiver werden lässt und dabei zugleich auf ein inklusives Wachstum abzielt. Das bedeutet, Produktivität muss vor allem wieder in der Breite wachsen – in der Breite der Unternehmenslandschaft und in allen Teilen des Landes. So werden Teilhabe- und Beteiligungschancen, so wird Wohlstand gesichert. Nur auf dieser Grundlage kann aber auch ein echtes Umsteuern in Richtung eines nachhaltigeren Wirtschaftsmodells gelingen, das sich im Rahmen der planetaren Grenzen befindet.

Die geschilderten Herausforderungen werden mittlerweile auch von der Politik wahrgenommen. Im Projektverlauf entstanden in verschiedenen europäischen Staaten auf Anregung der Europäischen Kommission so genannte Nationale Ausschüsse für Produktivität. In Deutschland hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung diese Aufgabe im Jahr 2019 übernommen. Seither ergänzt ein gesondertes Kapitel zur Produktivitätsentwicklung das Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen, jährlich finden Nationale Produktivitätsdialoge statt. 2020 tagte das Global Forum on Productivity auf Einladung des Bundeswirtschaftsministeriums zum ersten Mal in Deutschland.

Wo genau angesetzt werden muss, um Produktivitätswachstum inklusiv zu gestalten, lesen Sie in unserer „Agenda Produktivität und Teilhabe“. Die Agenda mit ihren acht Handlungsfeldern ist das abschließende Ergebnis des Projekts „Produktivität für inklusives Wachstum“ der Bertelsmann Stiftung. In Zusammenarbeit und in ständigem Austausch mit verschiedenen Forschungseinrichtungen und Expert:innen ist in den Jahren 2018 bis 2021 eine Fülle von Studien entstanden, die konkrete Fragen nach Wirkzusammenhängen beantworten und auf deren Grundlage aufgezeigt werden kann, wo eine intelligente Wirtschaftspolitik ansetzen kann.

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Impressum

Autoren: Marcus Wortmann, Armando García Schmidt

Herausgeber: Bertelsmann Stiftung

Titel: Wie wir aus weniger für alle machen

Untertitel: Agenda für Produktivität und Teilhabe

Rechte: Sofern nicht anders angegeben, handelt es sich bei dem verwendeten Bildmaterial um Fotos der Plattform Unsplash – Unsplash License, https://unsplash.com/license

Erscheinungsort und -jahr: Gütersloh, 2022