Danksagung Blog und Twitter Dokumentarfilm „Germanomics“

Die digitale Transformation löst die Unterschiede zwischen Stadt und Land nicht auf, wie viele ursprünglich hofften. Das Gegenteil ist der Fall: Vor allem große Städte werden immer innovationsstärker. Sie ziehen gut ausgebildete Menschen an, wissensintensive und technologienahe Neugründungen entstehen, und bereits existierende Unternehmen springen hier auf den Zug auf. Abseits dieser dynamischen Zentren fällt es Unternehmen immer schwerer, mit der technologischen Entwicklung Schritt zu halten. So verschärfen sich regionale und soziale Ungleichheiten. Um diesem Trend entgegenzuwirken, braucht Deutschland eine Politik, die auf neue Weise regionale Wirtschafts- und Strukturpolitik und Forschungs- und Bildungspolitik zusammendenkt. Das Land braucht vor allem mehr und besser vernetzte Leuchttürme – intelligente Cluster und hochinnovative Forschungshubs –, damit die Transformation zu einer digitalen und nachhaltigen Wirtschaft überall gelingen kann.

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Herausforderungen

Deutschland ist durch viele kleine und mittlere Zentren geprägt. Einige eher ländliche Räume wie das Emsland, Ostwestfalen oder der Schwarzwald sind für ihre wirtschaftlich starken Hidden Champions bekannt. Doch die Wirtschaft verändert sich rasant und damit auch Wohlstand und Teilhabechancen.

Die Digitalisierung und mit ihr der Übergang zu einer stärker durch wissensintensive Dienstleistungen geprägten Wirtschaft treiben die Regionen auseinander. Großstädte wachsen, die hier ansässigen innovativen und großen Unternehmen arbeiten mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen zusammen und sind attraktive Arbeitgeber für gut ausgebildete junge Menschen. Unternehmen außerhalb der großen Zentren verlieren zusehends den Anschluss. Fachkräftemangel, fehlende Anbindung an anwendungsorientierte Forschung und oft auch mangelnde digitale Infrastruktur sind hierbei entscheidende Faktoren.

Die negativen Folgen einer Deindustrialisierung vieler Regionen und der Konzentration wirtschaftlicher Dynamik auf wenige große Ballungszentren lässt sich in Ländern wie den USA und Großbritannien besichtigen. So weit ist es hierzulande zwar noch nicht, doch auch die deutsche Regional- und Wirtschaftspolitik gibt bisher nicht die richtigen Antworten auf die strukturverändernden Herausforderungen der digitalen Transformation. Die Schaffung und Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse bleibt eine enorme Aufgabe.

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Daten und Fakten

In einer digitalen und immer mehr durch Wissen angetriebenen Wirtschaft ist die Innovationsfähigkeit ein zentraler Gradmesser für wirtschaftliche Dynamik. Doch die Zahl der innovierenden Unternehmen wird in Deutschland immer kleiner. Vor allem mittelständische Unternehmen ziehen sich immer mehr aus dem Innovationsgeschehen zurück. Aktuell ist nur noch jeder fünfte deutsche Mittelständler mit Innovationen aktiv. Parallel dazu verbreiten sich neue, vor allem digitale Technologien immer langsamer von den (großen) Innovatoren und aus der akademischen Forschung in die Breite der Unternehmenslandschaft. Dies verschärft zusätzlich die Unterschiede zwischen großen und kleinen Unternehmen (siehe Handlungsfeld „Mittelstand 2025“). Verschärft werden dadurch aber auch die Unterschiede zwischen urbanen Ballungszentren und kleinstädtischen und ländlichen Räumen in Deutschland.

Forschungsergebnisse zeigen dies deutlich. In einer gemeinsamen Studie mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben wir untersucht, ob sich in den vergangenen Jahren Veränderungen in der regionalen Verteilung von Patenten – als Näherungswert für die Innovationskraft von Regionen – zeigen. Das Ergebnis: Innovationsfähigkeit ist heute fast überall auf der Welt regional hoch konzentriert. Es sind zumeist wenige große Städte und deren unmittelbare Umgebung, die das Feld anführen. Sie sind die Heimat der Top-Forschungseinrichtungen und großen Unternehmen, die in Innovationen investieren. Kleinere Städte, ländliche Regionen sowie die Mehrzahl der Unternehmen bleiben abgeschlagen. Ein Zehntel der wirtschaftlich führenden Städte und deren unmittelbare Umgebung in den 30 untersuchten OECD-Staaten vereint fast zwei Drittel aller Patentanmeldungen auf sich. Der Vorsprung der führenden Städte ist seit 1995 stetig gestiegen. Auch wenn die deutsche Wirtschaft nach wie vor vergleichsweise dezentral aufgestellt ist, ist das keine Garantie für die Zukunft. Denn die Studie zeigt auch: Die Digitalisierung verstärkt diese globale Konzentration weiter.

Gemeinsam mit dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) haben wir das Konzept der Innovativen Milieus entwickelt, mit dem wir zeigen können, wie unterschiedlich die Innovationsprofile der deutschen Unternehmen aktuell sind. Die Studie zeigt auch, dass die deutsche Unternehmenslandschaft heute vor allem durch regionale Ungleichgewichte geprägt ist: Mehr als die Hälfte der Unternehmen in den Milieus, die ein hohes Innovationsprofil mit ebenso hohem Innovationserfolg verbinden, sind in Groß- oder Mittelstädten verortet. Die so genannten Konservativen Innovatoren, die ein ebenso hohes Innovationsprofil haben, aber weniger erfolgreich sind in der Umsetzung von Innovationen, sind hingegen zu 47 Prozent in Kleinstädten angesiedelt. Dieses Milieu weist auch den höchsten Anteil nicht digitalisierter Unternehmen auf. Ein schlechterer Zugang zu klassischer und digitaler Infrastruktur, zu anwendungsorientiert arbeitenden Forschungseinrichtungen aber auch zu entsprechenden Fachkräften könnten Erklärungsmomente dafür sein wie, weshalb es den Unternehmen dieser Gruppe nicht gelingt, ihre eigentlich gutes Innovationsprofil in ebenso große Innovationserfolge umzusetzen wie es den vergleichbaren Unternehmen in größeren Städten gelingt.

Eine weitere Studie, die ein Forschungsteam vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) für uns erstellt hat, macht die regionale Ungleichentwicklung innerhalb Deutschlands sichtbar. Die Untersuchung zeigt, dass räumliche Entwicklungsprozesse zunehmend heterogen verlaufen. Vor allem die Entwicklung der Industrie bereitet dabei Sorge: Seit 2008 setzen sich einige Regionen in ihrer Produktivitätsentwicklung immer mehr von den anderen ab.

Forscher vom IW sprechen in diesem Zusammenhang sogar von „gefährdeten Regionen“ und verweisen auf die Abwanderung junger Fachkräfte, die den ländlichen Raum zusätzlich schwächt: „Während etwa viele Großstädte immer weiter wachsen, verlassen gerade junge und gut ausgebildete Menschen ländlich geprägte oder strukturschwache Regionen.“

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Politischer Handlungsbedarf

Regionale Ungleichheiten verschärfen sich in Deutschland. Denn es fällt Unternehmen, die abseits dynamischer Ballungszentren beheimatet sind, immer schwerer, mit der technologischen – vor allem digitalen – Entwicklung Schritt zu halten. Wenn Deutschland insgesamt wieder produktiver werden soll, und die Teilhabechancen und der Wohlstand in allen Landesteilen wachsen sollen, brauchen wir eine neu ausgerichtete umfassende Regionalpolitik. Ziel dieser Politik muss es sein, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass überall in Deutschland starke mittelständische Unternehmen aktiv sind und bleiben.

Dazu sollten zunächst die bestehenden Instrumente etwa der Investitionsförderung weiterentwickelt werden. Neben der Arbeitsplätzesicherung sollten Zuschüsse an Unternehmen in strukturschwachen Regionen auch auf die Steigerung der Produktivität abzielen. Nur wenn dies gelänge, ließe sich dort die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere bei schrumpfenden Erwerbspersonenpotenzialen auch dauerhaft erhalten.

Doch wie können auch die Rahmenbedingungen verbessert werden? Deutschland braucht vor allem mehr und besser vernetzte Leuchttürme – intelligente Cluster und hochinnovative Forschungshubs –, damit die Transformation zur digitalen und nachhaltigen Wirtschaft überall gelingen kann. Kooperationsprojekte, Netzwerke und Cluster können Unternehmen helfen, gemeinsam riskantere Innovationen zu stemmen. Dies anzuregen und zu begleiten ist Aufgabe der Politik, aber auch der Unternehmen selbst und ihrer Verbände. Nicht zu unterschätzen ist dabei die Rolle von öffentlichen Forschungs- und Lehreinrichtungen, wo der Schwerpunkt auf angewandter Forschung liegt, allen voran die Fachhochschulen und technischen Universitäten. Alle Bemühungen, Forschungskooperationen zwischen Hochschulen und Unternehmen quantitativ und qualitativ zu stärken, sind lohnend. Dort, wo sie es noch nicht sind, müssen die Hochschulen zur Inspirationsquelle und Motor von Zusammenarbeit und Wissensaustausch in ihrer Region werden.

Regionale Forschungseinrichtungen und Unternehmen sollten bei der Gründung neuer Cluster auf eine kluge Spezialisierung auf bislang nicht oder schwach besetzte Nischen abzielen. Dabei muss der komparative Vorteil einer Region identifiziert und ausgenutzt werden. Auch weitere gesellschaftliche Akteure der Region sollten mit an Bord sein. Innovationsimpulse und Innovationsbedarfe aus der Gesellschaft können von Forschung und Unternehmen unmittelbar aufgegriffen werden.

Über den regionalen Ansatz hinaus sollten Cluster in Zukunft auch verstärkt entlang von Wertschöpfungsketten gedacht werden. Wissensweitergaben und die gemeinsame Entwicklung von Innovationen gelingt oft gerade auch im „vertikalen“ Zusammenspiel zwischen Unternehmen, die sich sonst als Auftraggeber und Auftragnehmer begegnen. Auf diese Weise kann auch einer perspektivisch stärker werdenden Missionsorientierung von Innovationspolitik Rechnung getragen werden. Darüber hinaus sollten intelligente Brücken zwischen regionalen, branchenspezifischen und internationalen Clustern gebaut werden. Dass diese Effekte auch positiv in die Regionen zurückwirken, zeigt nicht zuletzt der Erfolg der deutschen Biotech-Szene.

Nicht vergessen werden dürfen in diesem Zusammenhang auch Neugründungen. Sie bringen Innovationen in die Wirtschaft ein und können durch Ihre Produkte und Dienstleistungen auch in die existierende Unternehmenslandschaft einer Region neues Wissen, neue Lösungen und neue Kooperationsmöglichkeiten einbringen. Hochschulen kommt auch hier wieder eine besondere Rolle zu. Für technologienahe und wissensintensive Startups geben sie oft ersten Anstoß und Rahmen. Vorbild können darüber hinaus auch Inkubatoren wie die Founders Foundation in Bielefeld sein, die einen konkreten regionalen Bezug haben und die Absicht verfolgen, die bestehende Unternehmenslandschaft mit Startups zu ergänzen, um den Übergang in die digitale Wirtschaft zu stärken.

Deutschland muss zum Land solcher Leuchttürme werden. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn auch die Grundvoraussetzungen überall vorhanden sind. So müssen periphere Räume besser an die Zentren angebunden sein, sei es über verbesserte Mobilitätskonzepte oder den konsequenten Ausbau der digitalen Infrastruktur, um den Zugang zu Daten und Wissen überall zu ermöglichen. Hierzu zählt neben der öffentlichen Verkehrs- und Digitalinfrastruktur auch die Ausstattung der Kommunen mit entsprechenden Bildungseinrichtungen und Betreuungsangeboten. Ferner müssen Länder und Kommunen in der Lage sein, die notwendigen Investitionen zu stemmen (siehe auch Handlungsfeld “Investor Staat”).

Zum Weiterlesen

[1] Gefährliches Ungleichgewicht bei Innovationen. Blogbeitrag vom 22.01.2020 auf inclusive productivity von Marcus Wortmann, Caroline Paunov und Lukas Nüse.
[2] Über die persistenten Produktivitätsunterschiede zwischen Ost und West. Blogbeitrag vom 5.10.2020 auf inclusive productivity von Alexander Schiersch.