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Erwerbsarbeit ist aus individueller und gesamtgesellschaftlicher Perspektive der Schlüssel zu materiellem Wohlstand und höherer Lebenszufriedenheit. Die ökologische Transformation löst auf dem Arbeitsmarkt einen umfassenden Strukturwandel aus, im Zuge dessen Berufsfelder neu definiert oder umgestaltet und Arbeitsplätze abgebaut oder neu geschaffen werden. Um die negativen Strukturwandeleffekte für Regionen, Sektoren und Berufsgruppen abzufedern, braucht es arbeits- und sozialpolitische Maßnahmen.

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Definition

Ein hoher Beschäftigungsstand bedeutet auf gesamtgesellschaftlicher Ebene eine höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, politische Stabilität, weniger Arbeitslosigkeit sowie ein positives gesellschaftliches und wirtschaftliches Klima. Weiterhin führt ein hohes Beschäftigungsniveau zu höheren Lohnabschlüssen, da Arbeitnehmer:innen mehr Verhandlungsmacht haben.

Doch Beschäftigung ist weit mehr als Einkommen: Wer einer Erwerbsarbeit nachgeht, kann seine eigene wirtschaftliche Existenz in der Regel selbst sichern, ist sozial eingebettet und lebt gesünder. Auf der individuellen Ebene wirkt Erwerbsarbeit sinn- und identitätsstiftend, steigert das Selbstwertgefühl und geht mit gesellschaftlicher Teilhabe einher.

Indikatoren zur Messung des Beschäftigungsstands

Die Arbeitslosenquote ist ein möglicher Indikator zur Messung des Beschäftigungsstands. In Deutschland zeigt sie das Verhältnis zwischen den im Sozialgesetzbuch als arbeitslos definierten Personen und der Summe der Erwerbspersonen. Ferner bietet sich die Erwerbstätigenquote an. Sie zeigt das Verhältnis zwischen der Zahl der Erwerbstätigen und der Gesamtheit der erwerbsfähigen Bevölkerung an. Aufgrund der einheitlichen Definition durch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) ist die Erwerbstätigenquote international gut vergleichbar.

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Entwicklung

Seit 1990 hat sich die Arbeitsmarktsituation in Deutschland im Allgemeinen positiv entwickelt. Die Arbeitslosenquote ist seit Mitte der 2000er-Jahre deutlich zurückgegangen, Ende des Jahres 2022 stand sie bei 5,4 Prozent.

Entsprechend ist Deutschlands Erwerbstätigenquote im selben Zeitraum stetig gestiegen. Der starke Anstieg Mitte der 2000er-Jahre ist auch auf die umfangreiche Reform des Arbeitslosen- und Sozialversicherungssystems zurückzuführen. Im internationalen Vergleich lag Deutschlands Erwerbstätigenquote im Jahr 2020 mit rund 76 Prozent fast gleichauf mit Japan (77,4%), dem Vereinigten Königreich (75,4%) und Schweden (75,3%). Dabei konnte Deutschland mit fast 8,5 Prozentpunkten den stärksten Zuwachs der Erwerbstätigenquote zwischen 1991 und 2020 verzeichnen.

Dieser Beschäftigungszuwachs in Deutschland geht mit der starken Ausweitung des Niedriglohnsektors einher. Innerhalb von etwas mehr als 20 Jahren – zwischen 1995 und 2017 – verdoppelte sich die Zahl der Beschäftigten im Niedriglohnsektor annährend. Im EU-weiten Vergleich liegt Deutschland beim Anteil der Beschäftigungsverhältnisse im Niedriglohnbereich mit 21 Prozent auf dem sechsten Rang, weit vor dem Vereinigten Königreich, Frankreich oder Italien.

Befragungen erfassen Arbeitsbedingungen und -zufriedenheit

Arbeitsbedingungen und die Zufriedenheit der Beschäftigten sind wichtige Kriterien für die Qualität von Beschäftigungsverhältnissen. Hinsichtlich dieser Aspekte unterscheidet sich Deutschland nicht stark von anderen europäischen Ländern. Hervorzuheben sind eine hohe Zufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen, kaum negative gesundheitliche Auswirkungen der Arbeit sowie eine gute Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf.

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Zielbeziehung

Der Klimawandel verändert den Arbeitsmarkt

Im Zuge des voranschreitenden Klimawandels werden sich die Arbeitsbedingungen zum Teil drastisch verschlechtern. Denn häufiger auftretende Hitzewellen bedeuten enorme Belastungen für Arbeitnehmer:innen und höhere Gesundheits- und Verletzungsrisiken. Als Folge sinkt auch die Produktivität einer Arbeitskraft. Der hitzebedingte Produktivitätsverlust kann gesamtwirtschaftlich zu einem Verlust von Arbeitsstunden oder Arbeitsplätzen führen, weil der Inputfaktor Arbeit, wo es möglich ist, durch Kapital ersetzt wird. Bis zu 80 Millionen Vollzeitarbeitsplätze könnten weltweit bis 2030 verlorengehen.

Klimabedingte Schocks verschlechtern aber auch insgesamt das Geschäftsklima, hemmen die Investitionsbereitschaft von Unternehmen und verhindern damit die Ausweitung von Produktionskapazitäten. Auch das wirkt sich negativ auf das Beschäftigungsniveau aus. Als Reaktion auf die Folgen des Klimawandels könnten Unternehmen sich dazu entschließen, ihre Produktion in weniger vulnerable Regionen zu verlagern. Erwerbsfähige Personen würden der abwandernden Arbeitsnachfrage teilweise folgen. Für den deutschen Arbeitsmarkt könnte die Klimamigration positive Auswirkungen haben, da sie eher zu einer Einwanderung von Arbeitskräften führen würde, denn Deutschland ist Extremwetterereignissen im Vergleich zu anderen Ländern und Weltregionen weniger stark ausgesetzt.

Je nach Sektor und Region wirkt die ökologische Transformation unterschiedlich

Die Wechselwirkungen zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und einem hohen Beschäftigungsniveau sind vielschichtiger. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene kann nicht von einem Zielkonflikt zwischen Klimapolitik und einem hohen Beschäftigungsstand gesprochen werden. Modellrechnungen für Deutschland schätzen gesamtwirtschaftlich einen zusätzlichen Arbeitskräftebedarf von 767.000 Personen bis 2035, wenn ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen verfolgt werden.

Jedoch kann die ökologische Transformation auf dem Arbeitsmarkt regional und sektoral durchaus zu Disruptionen und Arbeitsplatzverlusten führen. Diese Zielkonflikte können – bedingt durch die wirtschaftliche Diversifizierung, Innovationsfähigkeit, die Dynamik des Arbeitsmarktes und die Beschäftigungsintensität der betroffenen Branchen – regional unterschiedliche Ausmaße annehmen.

Negative Beschäftigungswirkungen können für CO2-intensive Branchen, wie die fossile Energieerzeugung oder die Chemie- und Pharmaindustrie, entstehen. Für die Automobilproduktion bedeutet die Antriebswende einen erheblichen Strukturwandel und eine Neuausrichtung des Arbeitskräftebedarfs. Allein im Fahrzeugbau wird daher ein Beschäftigungsrückgang von 28.000 Arbeitskräften für das Jahr 2030 prognostiziert.

Fachkräfte drohen zum Engpassfaktor zu werden

Doch klimapolitisch ausgelöste Nachfrageveränderungen können auch zu positiven Arbeitsmarkteffekten führen. Dies gilt insbesondere für das Baugewerbe, den Maschinenbau oder den Energiegewinnungssektor, die vom Ausbau der erneuerbaren Energien und der Schieneninfrastruktur sowie dem hohen Bedarf an energetischen Gebäudesanierungen profitieren. Es wird geschätzt, dass bis 2030 rund ein Drittel des gesamten zusätzlichen Arbeitskräftebedarfs in Deutschland auf die Bauwirtschaft entfallen wird.

Damit entsteht zukünftiger Arbeitskräftebedarf insbesondere in jenen Sektoren und Berufsgruppen, in denen sich bereits heute ein Engpass an qualifizierten Arbeitskräften abzeichnet. Der Fachkräftemangel droht ein zentraler Engpassfaktor bei der Umsetzung einer ambitionierten Klimapolitik zu werden. Aber es ergeben sich durch den Strukturwandel auch Chancen, etwa den Arbeitskräftemangel durch Wanderungsdynamiken zwischen Branchen und Berufen zu entschärfen.

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Politischer Handlungsbedarf

Das Risiko von Beschäftigungsverlusten und den Fachkräftemangel adressieren

Schlussendlich entscheidet auch die politische Begleitung des Strukturwandels darüber, wie stark dieser den Arbeitsmarkt treffen und negative Effekte auf das Beschäftigungsniveau entfalten wird. Frühzeitiges und proaktives Handeln können sowohl negative Beschäftigungseffekte mildern als auch dem Fachkräftemangel vorbeugen. Zentrale Hebel, um Arbeitskräfte für künftige Anforderungsprofile fit zu machen, sind (Re-)Qualifizierung, Umschulung und Weiterbildung sowie die arbeitsmarktpolitische Unterstützung von räumlicher und beruflicher Mobilität. Ein funktionsfähiges Weiterbildungssystem ist dafür die wichtigste Voraussetzung.

Zur Bekämpfung des Fachkräftemangels können unter anderem Informationskampagnen und Beratungsangebote können dafür sorgen, dass Berufseinsteiger:innen und Arbeitssuchende von den Beschäftigungsmöglichkeiten in zukunftsträchtigen Sektoren einer klimaneutralen Wirtschaft erfahren. Ausbildungsberufe, insbesondere im Handwerk, müssen aufgewertet werden. Und Beschäftigte, deren Jobs in absehbarer Zeit im Zuge der ökologischen Transformation wegfallen, sollten frühzeitig mit entsprechenden Angeboten angesprochen werden.

Denn je dynamischer und flexibler der Arbeitsmarkt gestaltet wird, desto schneller können Arbeitsnachfrage und ‑angebot zusammenfinden. Dies verhindert strukturelle Arbeitslosigkeit und ermöglicht einen reibungslosen Verlauf der ökologischen Transformation auf dem Arbeitsmarkt. Eine intelligente arbeitsmarkt- und sozialpolitische Steuerung beugt den sektoralen und regionalen Zielkonflikten zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und hohem Beschäftigungsstand vor.