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Umfassende gesellschaftliche Teilhabechancen, Lebenszufriedenheit und Konsummöglichkeiten hängen eng mit dem materiellen Wohlstand eines Landes zusammen. Allerdings sind auch Treibhausgasemissionen mit der Bereitstellung dieses materiellen Wohlstands für die Bevölkerung verknüpft. Denn in unserem aktuellen Wirtschaftsmodell basieren materieller Wohlstand und sein Wachstum auf dem Verbrauch von Ressourcen und der Nutzung fossiler Energieträger. Die ökologische Transformation setzt die Entkopplung von Wirtschaftsleistung und Ressourcenverbrauch voraus.

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Definition

Ein hoher materieller Wohlstand bedeutet, dass den Bürger:innen eines Landes viele Waren und Dienstleistungen zur Verfügung stehen. Gemessen wird der materielle Wohlstand mithilfe des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Es entspricht dem Wert aller Sachgüter und Dienstleistungen, die innerhalb eines Jahres in einem Land hergestellt werden, abzüglich der Vorleistungen, um Doppelzählungen zu vermeiden.

Ein hohes BIP ist gleichbedeutend mit einem geringen Niveau der absoluten Armut, höheren Beschäftigungschancen und höheren Ausgaben für Infrastruktureinrichtungen. Dadurch beeinflusst materieller Wohlstand auch die immateriellen Lebensbedingungen, etwa in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Sicherheit und Teilhabe.

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Entwicklung

In Deutschland ist das reale, also das inflationsbereinigte, BIP je Einwohner:in in den vergangenen 30 Jahren fast kontinuierlich gewachsen. Der wirtschaftliche Produktionswert, der jeder und jedem einzelnen deutschen Einwohner:in zugerechnet werden kann, ist im Zeitablauf um insgesamt 14.000 US-Dollar gestiegen. Kürzere Einbrüche gab es nach der geplatzten Dotcom-Blase, der Finanz- und Wirtschaftskrise und im Zuge der Corona-Pandemie. Diese Entwicklung gleicht jener in anderen hoch entwickelten Volkswirtschaften.

Beim internationalen Vergleich der absoluten BIP-Indexwerte ist zu erkennen, in welchen Ländern seit 1990 ein besonders starkes Wachstum des materiellen Wohlstands stattgefunden hat. Zwischen 1990 und 2015 ist das reale BIP in Frankreich, Schweden, dem Vereinigten Königreich und in den USA schneller gewachsen als in Deutschland. Im gesamten Zeitraum seit 1990 weist das US-amerikanische BIP den stärksten Zuwachs auf, Deutschland belegt einen mittleren Platz mit einem Wachstum von rund 33 Prozentpunkten.

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Zielbeziehung

Auch wenn materieller Wohlstand eine Grundvoraussetzung für Teilhabe und Lebenszufriedenheit ist, gibt es Grenzen der Zunahme des materiellen Wohlstands. Denn materieller Wohlstand hat seinen Preis: neben den direkten Produktionskosten entstehen ökologische (Umweltverschmutzung, Klimawandel) und soziale (soziale Instabilitäten aufgrund wachsender Ungleichheit) Folgekosten. Übersteigen diese gesamtgesellschaftlichen Kosten der Steigerung des Wohlstands den Nutzen, den zusätzlicher Wohlstand stiftet, ist weiteres Wachstum nicht länger sinnvoll.

Die Debatte darüber, ob Wirtschaftswachstum sinnvoll und wünschenswert ist, wird schon lange geführt. Doch vor dem Hintergrund der Klimakrise geht es vielmehr grundsätzlich um die Umsetzbarkeit und Notwendigkeit von Wirtschaftswachstum in einer klimaneutralen Gesellschaft. Es stellen sich die Fragen, ob einerseits Wirtschaftswachstum so stark von Umweltbelastung entkoppelt werden kann, dass es zukünftig innerhalb der planetaren Belastungsgrenzen möglich ist und, ob andererseits weiteres Wirtschaftswachstum zur Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Wohlergehens überhaupt notwendig ist.

Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und CO2-Emissionen sind eng miteinander verknüpft

Bisher basieren die Produktionsprozesse, die zur Steigerung des realen BIP je Einwohner:in eingesetzt werden, auf dem Einsatz fossiler Energien. Daher sind die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes und CO2-Emissionen eng miteinander verknüpft. Gleichzeitig korreliert ein höherer Lebensstandard, also höherer individueller materieller Wohlstand, in der Regel mit einem größeren pro-Kopf CO2-Verbrauch.

Vielen hoch entwickelten Industrienationen ist es in den letzten Jahren gelungen, ihren CO2-Fußabdruck je Einwohner:in zu senken und ihn damit zumindest teilweise vom Wachstum des BIP zu entkoppeln. In aufstrebenden Industriestaaten wie China hingegen ist das Emissionsvolumen pro Kopf im Zuge des wirtschaftlichen Aufholprozesses deutlich angestiegen. Hier überwiegen die emissionserhöhenden Effekte des wachsenden materiellen Wohlstands.

Der Klimawandel verringert den materiellen Wohlstand und das Wirtschaftswachstum

Trotz einiger Fortschritte, die im Kampf gegen den Klimawandel bis heute erzielt worden sind, ist eine weitere Reduzierung des Emissionsniveaus in allen Teilen der Welt unausweichlich. Ein voranschreitender Klimawandel bedeutet einen erheblichen Verlust an Lebensqualität, schädigt Produktionsanlagen und Infrastrukturen und senkt die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten. Insgesamt verringern die globale Erwärmung und ihre Konsequenzen den materiellen Wohlstand und das Wirtschaftswachstum einer Volkswirtschaft.

Marktbasierte Klimaschutzinstrumente können Impulse für ressourcensparenden technologischen Fortschritt setzen

Ein zentrales klimapolitisches Instrument ist die Erhebung eines Preises auf CO2-Emissionen, entweder in Form einer Emissionssteuer oder durch den Verkauf von Emissionsberechtigungen. Die staatliche CO2-Bepreisung soll das Verhalten der Akteure hin zu weniger CO2-intensiven Aktivitäten lenken. Kurzfristig senkt der höhere Preis für CO2-intensive Aktivitäten die Nachfrage, entsprechend fällt das Produktionsniveau und auch das reale BIP. Dadurch besteht in der kurzen Frist ein Zielkonflikt zwischen Klimaschutz und einem hohen materiellen Wohlstand.

Mittel- und langfristig passen Unternehmen bei hinreichend hohen CO2-Preisen ihre Produktionstechnologien an. Es vollziehen sich ein ressourcensparender technologischer Fortschritt und ein Strukturwandel hin zu klimafreundlichen Produkten und Produktionsverfahren. Dadurch steigt die Ressourcen- und Energieeffizienz. Modellhaft beschrieben, bedeutet das, dass die Produktionsfunktion f(R)0 nach oben, auf die Position f(R)1 gedreht wird.

Abbildung 5: Wirtschaftswachstum bei einer Steigerung der Ressourcenproduktivität durch technologischen Fortschritt

Im Vergleich zur Ausgangssituation Q0 kann im neuen Punkt Q0 das gleiche Niveau des realen BIP mit geringerem Ressourcenverbrauch hergestellt werden. In diesem Fall kann eine Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Treibhausgasemissionen ermöglichen. Bei dieser Art des Wachstums handelt es sich um Green Growth.

Allerdings ist es ebenso möglich, dass die Effizienzsteigerung durch eine steigende Güternachfrage und eine entsprechende Zunahme des Energie- und Ressourcenverbrauchs teilweise oder vollständig kompensiert wird. Dieses Phänomen wird als Rebound-Effekt bezeichnet. In Abbildung 5 führt ein Rebound-Effekt zum Anstieg des BIP auf BIP2, sodass nur ein Teil der theoretisch erwartbaren Ressourceneinsparung auch realisiert wird. Im Extremfall steigt das BIP sogar auf BIP1 oder darüber hinaus und die Effizienzgewinne werden durch den Ressourcenverbrauch aufgrund des höheren Wirtschaftswachstums vollständig oder überkompensiert. Green Growth wäre dann nicht möglich und es bestünde ein Zielkonflikt zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und der weiteren Steigerung des materiellen Wohlstands.

Entscheidend ist, den Ressourcenverbrauch von der Erzeugung von Wohlstand zu entkoppeln

Ob ein nachhaltiges Wachstum tatsächlich möglich ist, bleibt umstritten. Allerdings ist es unter anderem in Deutschland in den letzten Jahrzehnten gelungen, Wirtschaftswachstum und Treibhausgasemissionen zu entkoppeln. Grund dafür ist, dass der Ressourcenverbrauch in diesen Ländern erheblich reduziert werden konnte. So kommt es in hoch entwickelten Industriestaaten immer mehr zu einer Dematerialisierung bei der Herstellung des realen BIP: Eine wachsende Menge von Gütern wird mit geringerem Ressourceneinsatz produziert.

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Politischer Handlungsbedarf

Es braucht zirkuläres statt lineares Wirtschaften

Diese Entkopplung von Wohlstand und Ressourcenverbrauch kann durch den Übergang in eine zirkuläre Wirtschaft (häufig auch: Kreislaufwirtschaft, Circular Economy) weiter vorangetrieben werden. Eine funktionierende Zirkulärwirtschaft gilt als zentrale Voraussetzung für Green Growth. Durch eine effiziente und ressourcenschonende Produktions- und Konsumweise sowie die Wiederverwertung von Materialien können der Ressourceneinsatz, der Bedarf an Energie und Primärmaterialien und die Treibhausgasemissionen bei konstanter Outputmenge gesenkt werden.

Zur Förderung der zirkulären Wirtschaftsweise sind angebotsseitig vor allem Anreize für die Wiederverwertung von Materialien und die Verlängerung der Lebenszyklen von Produkten zu schaffen. Weiterhin können Maßnahmen zur Förderung der Sharing Economy – also des systematischen Bereitstellens und gegenseitigen Ausleihens von Produkten zwischen Privatpersonen – neue Geschäftsmodelle hervorbringen und die Dematerialisierung der Wirtschaft unterstützen. Großes Potenzial für die erfolgreiche Gestaltung einer Circular Economy haben digitale Technologien, da sie es ermöglichen, Materialflüsse und Wertschöpfungsketten nachzuverfolgen und Sharing-Geschäftsmodelle umzusetzen.

Die Stärke des Zielkonflikts zwischen materiellem Wohlstand und ökologischer Nachhaltigkeit hängt auch von der konkreten Ausgestaltung der Klimapolitik ab. Etwa können Wettbewerbsnachteile im internationalen Handel aufgrund von einseitig hohen CO2-Preisen durch eine Grenzabgabe auf CO2-intensive Produkte kompensiert werden. Oder Kaufkraftverluste, gerade bei einkommensschwachen Haushalten, können durch soziale Kompensationsmechanismen abgefedert werden.