Methode
Unternehmen sind wichtige Akteure im gesamtwirtschaftlichen Innovationssystem. Das Konzept der Innovativen Milieus setzt hier an und zeichnet ein ganzheitliches Bild der Innovationstätigkeit in Deutschland auf Unternehmensebene.
Eine erste Untersuchung auf Grundlage des Konzepts der Innovativen Milieus wurde 2019 durchgeführt, eine zweite 2022.
Das Konzept der Innovativen Milieus erfasst das Innovationsgeschehen in seiner ganzen Vielfalt. Im Unterschied zu anderen Studien werden Unternehmen verschiedenster struktureller Merkmale (d. h. Größe, Alter, Branchenzugehörigkeit), innovationsstrategischer Ausrichtungen und Faktorausstattungen nicht getrennt betrachtet, sondern hinsichtlich ihres Innovationsverhaltens in kohärente Gruppen zusammengefasst. Diese Gruppen werden als Innovative Milieus bezeichnet. Diese Typisierung erlaubt eine ganzheitliche Analyse des aktuellen Innovationsgeschehens und dient darüber hinaus als differenzierte Basis, um milieuspezifische Fördermaßnahmen zur Stärkung der Innovationsfähigkeit zu formulieren.
Das Untersuchungsdesign zu den Innovativen Milieus wurde im Jahr 2019 entwickelt. Der zentrale Mehrwert dieses Forschungsdesigns liegt in der datenbasierten Identifizierung von Innovativen Milieus in der deutschen Wirtschaftslandschaft und umfasste damals folgende Schritte:
Literaturrecherche: In einer umfassenden Literaturrecherche wurden sechs Themenfelder (sog. Erfolgskriterien) identifiziert, die unternehmerische Innovationsaktivitäten beschreiben und beeinflussen können. Dazu gehören die Innovationsorganisation, die interne und externe Vernetzung, die Innovationskultur, die Innovationskompetenz sowie die Stellung im Wettbewerb. Im Einklang mit den Empfehlungen des Oslo Manual wurde der innovative Output von Unternehmen in den Bereichen Produkt-, Prozess-, Organisations- und Marketinginnovation als zentraler Indikator für die Messung erfolgreicher Innovationstätigkeit definiert.
Unternehmensbefragung: Innerhalb der Befragungsinfrastruktur des IW-Zukunftspanels wurden 1.002 Unternehmen online zu ihren Innovationsaktivitäten befragt. Diese einzigartige und informationsreiche Datenbasis (30+ Innovationsvariablen) wurde anschließend genutzt, um die Innovativen Milieus auf Unternehmensebene zu bilden.
Milieubildung: Mithilfe eines zweistufigen Clusterverfahrens wurden die Unternehmen in sieben kohärente, also in sich homogene und zueinander heterogene Gruppen eingeteilt. Die Clusterbildung fand anhand der Unternehmensangaben zum innovativen Input statt, sodass sich sieben prägnante Innovationsprofile identifizieren ließen. Aufgrund der hohen Korrelationsstruktur innerhalb der Unternehmensangaben eignet sich das Instrument der Clusteranalyse besonders gut.
Milieubezeichnung und -beschreibung: Die definierten Cluster wurden hinsichtlich ihrer Inter- und Intraclustereigenschaften analysiert und beschrieben. Aufgrund der Korrelationsstruktur des Datensatzes ließen sie sich weitgehend entlang einer linearen Achse von innovationsfern bis hochinnovativ verorten. Gleichwohl konnten verschiedene differenzierende, prägnante Eigenschaften festgestellt werden, die als Grundlage der plakativ pointierten Bezeichnung der Milieus dienten. Zu den Milieus gehören demnach
Technologieführer,
Disruptive Innovatoren,
Kooperative Innovatoren,
Konservative Innovatoren,
Passive Umsetzer,
Zufällige Innovatoren und
Unternehmen ohne Innovationsfokus.
Die Studie aus dem Jahr 2022 schließt an das Untersuchungsdesign der Studie aus dem Jahr 2019 an. Zwischen Ende Februar und Ende April 2022 konnten vollständig auswertbare Angaben von 1.004 Unternehmen gesammelt werden, die zur Bildung der Innovativen Milieus dienten. Wie bereits 2019 wurde die Befragungsinfrastruktur des IW-Zukunftspanels verwendet, in dem seit 2006 regelmäßig eine vierstellige Zahl von Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe und den industrienahen Dienstleistungsbranchen Fragen zu wirtschafts- und gesellschaftsrelevanten Veränderungsprozessen online beantwortet. Die bis zu dreimal jährlich stattfindenden Befragungen wenden sich innerhalb der Unternehmen an die Personen, die umfassend breit und hinreichend tief fundiert Auskunft geben können.
Die Milieubildung wurde wieder mit einem zweistufigen Clusterbildungsverfahren erzielt, wodurch die inhaltliche wie auch die methodische Grundlage für einen Zeitvergleich sichergestellt ist. Eine umfassende Beschreibung des methodischen Vorgehens findet sich in der Studie, die im Sommer 2023 im Verlag Bertelsmann Stiftung veröffentlicht wird.
Messung des innovativen In- und Outputs
Innovationsoutput
Der Innovationsoutput der Unternehmen wird in Einklang mit den Empfehlungen des Oslo Manuals in den folgenden vier Bereichen erfasst und gemessen:
Produktinnovationen: Als Produktinnovationen werden neue oder deutlich verbesserte Produkte oder Dienstleistungen (Markt- oder Sortimentsneuheiten) bezeichnet.
Prozessinnovationen: Diese umfassen neue oder deutlich verbesserte Produktionsverfahren, die zur Kostensenkung oder Qualitätssteigerung bestehender Produkte oder Dienstleistungen beitragen.
Organisationsinnovationen: Darunter fallen u. a. neue Methoden zur Organisation von Geschäftsprozessen, neue Formen der Arbeitsorganisation – auch z. B. neue IT-Infrastrukturen – und neue Formen der Gestaltung von Außenbeziehungen zu anderen Unternehmen oder Einrichtungen. Nicht dazu zählen organisatorische Veränderungen durch den Verkauf oder Erwerb anderer Unternehmen.
Marketinginnovationen: Dies sind Marketing- oder Verkaufsmethoden, die vom jeweiligen Unternehmen zuvor noch nicht angewandt wurden. Beispiele dafür sind neue Werbetechniken bzw. Medien in der Produktwerbung, neue Marken, neue Vertriebskanäle oder neue Formen der Preispolitik. Saisonale oder andere regelmäßige Veränderungen von Marketinginstrumenten zählen nicht dazu.
Diesem Verständnis entsprechend kommt vor allem Produkt- und Prozessinnovationen eine große volkswirtschaftliche Bedeutung zu. Der Innovationserfolg der Unternehmen in diesen vier Bereichen wurde in der Befragung, die dieser Studie zugrunde liegt, erfasst und zu einem Output-Indikator verbunden. Dabei erhielt der Bereich Produktinnovationen ein Gewicht von 50 %, Prozessinnovationen werden mit 30 % gewichtet und Organisations- sowie Marketinginnovationen jeweils mit 10 %. Im Bereich Produktinnovationen wurden zusätzliche Punkte für Markt- und Weltneuheiten sowie hohe Umsatzanteile von Produkt- und Dienstleistungsinnovationen vergeben.
Innovationsinput
Jedes Unternehmen zeichnet sich schließlich durch ein spezifisches Innovationsprofil aus. Das spezifische Innovationsprofil eines Milieus setzt sich aus den Faktoren zusammen, die die Unternehmen des Milieus bewusst einsetzen, um innovativ zu sein – dem Innovationsinput. Dazu gehören etwa die innerbetriebliche Organisation von Innovationsprozessen oder die Offenheit für Kooperationen mit der Wissenschaft. Daneben gibt es weitere Faktoren wie die spezifischen Bedingungen des wettbewerblichen Umfelds, in dem sich die Unternehmen bewegen. Auch dies beeinflusst das innovative Profil der Unternehmen. Der Innovationsinput der Unternehmen lässt sich in die sechs folgenden Dimensionen gliedern.
Stellung im Wettbewerb
Die Wettbewerbsposition ist eine entscheidende – oft anreizgebende – Dimension für die Innovationstätigkeit in Unternehmen. Durch gewerbliche Schutzrechte, wie Patente, aber auch Gebrauchsmuster und Marken, können Unternehmen ihre Forschungsergebnisse, Innovationen oder geistigen Schöpfungen schützen und sich so einen längerfristigen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Starke Konkurrenz durch Anbieter aus dem Ausland oder die Bedrohung der eigenen Marktposition durch den Markteintritt neuer Konkurrenten können ebenfalls das Wettbewerbsumfeld bzw. die Wettbewerbsintensität prägen und Anreize für innovatives Verhalten schaffen.
Innovationsorganisation
Die Organisation der Innovationstätigkeit variiert von Unternehmen zu Unternehmen. Einige lenken ihre entsprechenden Aktivitäten durch klar definierte Projekte oder eigens zugewiesene Budgets. Andere Unternehmen integrieren ihre Innovationsaktivitäten in ihre regulären Geschäftstätigkeiten und arbeiten an der kontinuierlichen Verbesserung ihrer Produkte und Geschäftsprozesse, während wieder andere Unternehmen ihre Aktivitäten hauptsächlich auf Ad-hoc-Basis durchführen. Generell lässt sich die Prozessorganisation unterscheiden in eine zentrale und eine dezentrale Planung und Steuerung von Innovationsprojekten (einschließlich der notwendigen Ressourcen). Auch eine systematische Strategie mit Fokus auf ausgewählte Innovationsfelder ist ein zentraler Aspekt der Organisation. Hinzu kommt die „Awareness“, d. h. die auf systematischem Monitoring basierende Kenntnis aktueller Markt- und Technologietrends, um vielversprechende Innovationsansätze frühzeitig zu erkennen, sowie die Messung und Effizienz von Innovationsaktivitäten. All diese Elemente ergeben ein Bild vom Umfang und Professionalitätsgrad des jeweils etablierten Innovationsmanagementsystems.
Interne Vernetzung
Für die interne Vernetzung kann der abteilungsübergreifende Austausch zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern systematisch gefördert werden, etwa durch interne Netzwerkveranstaltungen. Interne Vernetzung und Kommunikation sind wichtig, denn eine effektive Kommunikation der FuE-Abteilung mit Produktion, Vertrieb und Marketing kann den Erfolg von Innovationen positiv beeinflussen. Diverse Studien zeigen beispielsweise, dass durch eine höhere Qualität des Wissenstransfers Wissen effizienter genutzt werden kann und dadurch die Innovationstätigkeit im Unternehmen steigt.
Externe Vernetzung
Große Unterschiede bestehen zudem in der regionalen und globalen Einbettung der Unternehmen in externe Innovationsnetzwerke. Dabei können anhand der Kooperationspartner drei Formen unterschieden werden:
Kooperationen entlang der Wertschöpfungsketten (mit Lieferanten und Kunden)
Kooperationen mit anderen Unternehmen (darunter ggf. auch Start-ups)
Kooperationen mit der Wissenschaft
Es ist empirisch belegt, dass Kooperationen mit anderen Unternehmen oder Institutionen ein entscheidender Faktor bei der Entwicklung von Innovationen sind (sog. Open-Innovation-Ansatz). Durch die Zusammenarbeit mit den externen Kooperationspartnern können Wissenstransfers erfolgen und externe Ressourcen genutzt werden, die das organisatorische Lernen voranbringen. Dabei können sich die Fähigkeiten und das Wissen der Kooperationspartner gegenseitig ergänzen und auf diese Weise wertvolle Synergien erzeugt werden.
Innovationskultur
Die Innovationskultur umfasst zunächst die grundlegenden Eckpunkte des Zusammenarbeitens – z. B. unternehmerisches Handeln, Dynamik und Kreativität oder Teamarbeit, Partizipation und Mitarbeiterentwicklung. Studien zeigen, dass insbesondere eine partizipative Arbeitsgestaltung Prozess- und Produktinnovationen in ihrer Intensität und Häufigkeit positiv beeinflusst. Die Unternehmen unterscheiden sich zudem hinsichtlich ihrer Risikobereitschaft und bei der Verfolgung radikaler („disruptiver“) Innovationsprojekte, die das Geschäftsmodell erheblich verändern oder ein neues Geschäftsfeld eröffnen. Auch ein aktives Anreizmanagement, das die Innovationsaktivitäten in der gesamten Belegschaft fördert, ist Teil der kulturellen Dimension.
Innovationskompetenz
Hier zählt einerseits die Fähigkeit, Ansatzpunkte für Innovationen (z. B. neue Technologien) zu entwickeln bzw. sie schnell aufzugreifen und in die eigenen Prozesse integrieren zu können. Andererseits kommt auch der Qualifikationsstruktur des Personals und der Personalentwicklung eine große Bedeutung zu. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen können sowohl durch Schulungen in Innovationsmethoden als auch durch fachliche Weiterbildungen gezielt für Innovationsaktivitäten sensibilisiert werden. Dabei können Innovationsmethoden von Ideenwettbewerben, Trendanalysen und Design Thinking über die schnelle Herstellung von Prototypen bis zur Ideenfindung über Crowdsourcing-Plattformen oder Konkurrenzanalysen reichen. Relevante fachliche Weiterbildungen sind Schulungen in Methoden und Fachwissen, die den Umgang mit neuen Technologien verbessern sollen bzw. die zur Entwicklung einer Innovation beitragen, etwa in den Bereichen FuE oder Design.