Auf den Punkt
Disruptive Innovatoren richten sich zunehmend auf agile Kooperationsaktivitäten mit ihren Kunden aus, was sich allerdings eher nachteilig auf die vormals charakteristische Innovationshöhe (Disruptivität) auswirkt. Das Milieu der Disruptiven Innovatoren schrumpft in den Jahren zwischen 2019 und 2022 von 19 auf 12 Prozent. Der Innovationserfolg nimmt geringfügig ab und die Distanz zum patentaffinen Technologie-Profil nimmt zu.
Wer sind die Disruptiven Innovatoren?
Im Vergleich zur Erhebung 2019 ist der Anteil der Disruptiven Innovatoren an der gesamten Unternehmenslandschaft von 19 Prozent auf 12 Prozent geschrumpft.
Der Schwerpunkt der Branchen, in denen das Milieu der Disruptiven Innovatoren sich vorwiegend zu Hause fühlt, hat sich im Zeitvergleich nicht geändert. Immer noch sind die Disruptiven Innovatoren vor allem in den unternehmensnahen Dienstleistungen (33 Prozent, leicht gestiegen gegenüber 28 Prozent im Jahr 2019) sowie in der Medien- und IKT-Branche (von 17 Prozent auf 10 Prozent gesunken) tätig. Damit ist dieses Milieu stark dienstleistungsorientiert.
Im Vergleich zu den anderen Milieus finden sich hier im Schnitt sehr große Unternehmen (aktuell Platz 2 unter den sieben Milieus), während dieses Milieu vorher diesbezüglich nur im Mittelfeld lag (Platz 4 von sieben im Jahr 2019). Im Vergleich zu 2019 sind die Disruptiven Innovatoren in Bezug auf ihre Belegschaft größer geworden. So stieg die durchschnittliche Beschäftigtenzahl von 93 auf 212.
Gestiegen ist auch das Durchschnittsalter der Unternehmen, die zu diesem Milieu gehören. Lag es 2019 noch bei 25 Jahren, so sind es nun 35 Jahre. Trotz dieses deutlichen Anstiegs gehören die Disruptiven Innovatoren im Vergleich immer noch zu den jungen Unternehmen (aktuell Platz 2 unter den sieben Milieus).
Der Innovationserfolg der Disruptiven Innovatoren
Besonders ausgeprägt ist bei den Disruptiven Innovatoren, verglichen mit den anderen Milieus, der Fokus auf hochgradige, „radikale“ Innovationen. Das 2019 noch sehr prominente Innovationsziel, das angestammte Geschäftsmodell grundlegend zu ändern oder gar ein neues Geschäftsfeld zu eröffnen, ist aktuell nicht mehr so relevant für die Disruptiven Innovatoren. Dafür legen die Unternehmen dieses Milieus jetzt viel Wert auf internen fachlichen Austausch, auf Teamarbeit und Weiterbildung. Schwach ausgeprägt sind weiterhin Aktivitäten im Bereich der Patente und sonstiger gewerblicher Schutzrechte.
Der Anteil der Disruptiven Innovatoren in allen Innovationsarten liegt höher als der Durchschnitt über alle sieben Milieus. Besonders wichtig sind diesen Unternehmen vor allem die Produktinnovationen: 74 Prozent der Disruptiven Innovatoren bringen Produkt- und Dienstleistungsinnovationen hervor – im Schnitt über alle Milieus sind dies nur 41 Prozent. Genauso wichtig sind den Disruptiven Innovatoren auch Organisationsinnovationen (74 Prozent im Vergleich zu 43 Prozent über alle Milieus). 65 Prozent der Unternehmen dieses Milieus bringen Prozessinnovationen hervor (gegenüber 33 Prozent über alle Milieus) und 53 Prozent realisieren Marketinginnovationen – ebenfalls deutlich mehr als der Durchschnitt aller Milieus, der bei 27 Prozent liegt.
Das Innovationsprofil der Disruptive Innovatoren
Jedes Innovative Milieu zeichnet sich durch ein spezifisches Innovationsprofil aus. Denn die Milieus bestehen aus Unternehmen, die ähnliche Schwerpunkte in der Art setzen, wie sie zu Innovationen kommen. Das spezifische Innovationsprofil eines Milieus setzt sich aus den Faktoren zusammen, die die Unternehmen des Milieus bewusst einsetzen, um innovativ zu sein. Dazu gehören etwa die innerbetriebliche Organisation von Innovationsprozessen oder die Offenheit für Kooperationen mit der Wissenschaft. Daneben gibt es weitere Faktoren wie die spezifischen Bedingungen des wettbewerblichen Umfelds, in dem sich die Unternehmen bewegen. Auch dies beeinflusst das innovative Profil der Unternehmen.
Wir haben die Disruptiven Innovatoren und die Unternehmen der übrigen Milieus detailliert nach allen Faktoren befragt. Aus den Antworten ergibt sich das spezifische Innovationsprofil des jeweiligen Milieus. Zur besseren Verständlichkeit gliedern wir hier in drei Dimensionen: „Stellung im Wettbewerb“, „Vernetzung und Organisation“ sowie „Kultur und Kompetenz“.
Stellung im Wettbewerb
Alle Werte für die Dimension „Stellung im Wettbewerb“ fallen für das Milieu der Disruptiven Innovatoren 2022 geringer aus als 2019. Besonders ausgeprägt ist in diesem Milieu die Einschätzung, dass Innovationen entscheidend für die Marktposition sind. Allerdings hat auch hier der Mittelwert im Vergleich zur vorherigen Befragung nachgelassen. Die Disruptiven Innovatoren sehen sich in einem dynamischen Marktumfeld der deutlichen Gefahr ausgesetzt, dass ihre Produkte oder Dienstleistungen schnell veralten oder neue Konkurrenten als zusätzliche Bedrohung erscheinen. Daher kommt den in Angriff genommenen Innovationsprojekten die Bedeutung zu, das angestammte Geschäfts- und Betätigungsfeld grundlegend verändern zu können. Das Gesamtbild zeigt, dass Disruptive Innovatoren sich in Marktumfeldern bewegen, die hohe Anforderungen an Agilität und Innovativität stellen.
Eher gering ausgeprägt ist das Bestreben der Disruptiven Innovatoren, über Patente oder andere gewerbliche Schutzrechte zu verfügen. Das verwundert nicht, da dieses Milieu einen starken Dienstleistungsbezug aufweist. Da Dienstleistungen selbst nur sehr eingeschränkt patentierbar sind (nur dann, wenn sie auf technologischen Prozessen beruhen), kommt Patenten hier eine geringere Bedeutung zu als in Branchen, die stark technologie- oder produktgeprägt sind.
Vernetzung und Organisation
Die Faktoren, die das Innovationsprofil der Disruptiven Innovatoren bei der Vernetzung und Organisation charakterisieren, haben sich im Zeitvergleich nicht grundlegend geändert. Besonders stark ausgeprägt sind weiterhin die Zusammenarbeit mit Kunden, der bereichsübergreifende Austausch samt nicht monetärer Anreizsysteme sowie eine systematische Innovationsstrategie. Eher gering ausgeprägt sind hingegen die monetären Anreizsysteme sowie die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft.
Zwei Aspekte fallen besonders auf. Erstens entwickelt sich die Bedeutung der unterschiedlichen Anreizsysteme, die bei den Disruptiven Innovatoren verwendet werden, nicht gleich intensiv. Monetäre Anreizsysteme werden deutlich wichtiger, nicht monetäre hingegen nehmen an Bedeutung nicht in demselben Ausmaß zu. Zudem nimmt mit der systematischen Innovationsstrategie sowie der dezentralen Planung und Steuerung von Projekten die Bedeutung der eher etwas formelleren Elemente eines umfassenden Innovationsmanagements leicht ab, wenngleich auf relativ hohem Niveau.
Kultur und Kompetenz
Im Vergleich zur Erhebung 2019 haben die für das Milieu der Disruptiven Innovatoren charakteristischen Faktoren des Bereichs Kultur und Kompetenz sich nur leicht geändert. Weiterhin zählen hier zu den besonders stark ausgeprägten Faktoren vor allem Eigeninitiative und Kreativität, gepaart mit unkonventionellen Ideen der Führungskräfte und Beschäftigten, sodann Teamarbeit/Partizipation und fachliche Weiterbildungen. Deutlich schwächer ausgeprägt sind allerdings Schulungen in Innovationsmethoden. Relativ stark nachgelassen hat das Selbstverständnis der Disruptiven Innovatoren, sich als technologische Vorreiter zu sehen.
Corona: 16 Prozent der Disruptiven Innovatoren weiten Innovationsaktivitäten im Zuge der Pandemie aus
70 Prozent der Disruptiven Innovatoren haben ihre Innovationsvorhaben während der Pandemie unverändert fortgeführt. Der Unternehmensanteil, der seine Innovationsaktivitäten im Zuge der Pandemie verschoben oder gar abgesagt hat, liegt bei den Disruptiven Innovatoren mit 15 Prozent deutlich unter dem Anteil der Gesamtstichprobe (26 Prozent). Dafür hat mit 16 Prozent fast jedes sechste Unternehmen dieses Milieus seine Innovationsaktivitäten, begründet durch die Pandemie, sogar ausgeweitet.
Dies lässt sich mit dem starken Dienstleistungsfokus des Milieus und dem hohen Grad der Vernetzung zum Beispiel mit Kunden erklären: Die Daten zeigen, dass die Disruptiven Innovatoren intensiv mit anderen Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette in Bezug auf Innovationen kooperieren und dass überdurchschnittlich viele Organisationsinnovationen hervorgebracht werden. Diese Form der kooperativen Innovation lässt sich auch bei Kontaktrestriktionen schnell und agil fortführen.